2015 war das Jahr großer politischer Herausforderungen. Das hielt den Gesetzgeber nicht davon ab, ziemlich dumme und teure Vorschriften zu erfinden. Eine Auswahl.

Andrea Nahles hat das Kümmer-Gen. Im Frühjahr entdeckte die Bundesarbeitsministerin die Gefahr, die von Paternostern ausging. Mit der "Verordnung zur Neuregelung der Anforderungen an den Arbeitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln und Gefahrenstoffen" verbot sie kurzerhand die Benutzung der türlosen Kettenaufzüge im öffentlichen Raum. In Firmen durften demnach nur noch Mitarbeiter in die Kabinen einsteigen. Und selbst die nur nach Einweisung. "Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Personenumlaufaufzüge nur von durch ihn eingewiesenen Beschäftigten verwendet werden", hieß es wörtlich in der neuen Verordnung. Bei Verstößen drohte ein Bußgeld. Zu groß sei die Gefahr von Unfällen.
Zum 1. Juni trat die neue Verordnung in Kraft. Nach heftigen Protesten wurde sie im Sommer doch noch modifiziert. Nun darf wieder (fast) jeder mit Paternostern fahren.

Bei den meisten anderen Regulierungen aus dem Jahr 2015 lief es anders. Mehr noch als sonst war die große Politik mit Großproblemen beschäftigt, in der ersten Jahreshälfte mit der Griechenland-Krise, in der zweiten mit dem Ansturm von Flüchtlingen. Das aber hat den Gesetzgeber nicht daran gehindert, weiter neue Vorschriften zu ersinnen und fleißig Beschlüsse zu fassen, die den Steuerzahler noch richtig teuer zu stehen kommen. Für sich genommen ist das nicht neu oder verwunderlich. Nur rutschte im zurückliegenden Jahr noch viel mehr unter das Radar der Öffentlichkeit als sonst schon.

Bei manchen Entscheidungen kann man sogar den Eindruck haben: Die Politik war ganz froh, dass Griechenland und die Flüchtlinge die Aufmerksamkeit der politisch interessierten Klasse weitgehend absorbierten. Höchste Zeit deshalb, zum Jahresende ein paar ausgewählte Neuerungen aus den zurückliegenden zwölf Monaten vorzustellen.

Steuerfreie Reeder

Griechische Schifffahrtsunternehmer und ihre Steuerprivilegien: Für die Gegner der Euro-Rettungspolitik sind sie ein begierig und immer wieder aufgegriffenes Thema. Doch während die Bundesregierung von Griechenland fordert, Reeder stärker zur Kasse zu bitten, räumt sie den deutschen Konkurrenten gerade selbst ein Steuerprivileg ein. Bislang bekommen die hiesigen Reedereien 40 Prozent der Lohnsteuer ihrer Arbeitnehmer geschenkt. Diesen Anteil müssen sie nicht an den Fiskus abführen. Nun will die Bundesregierung den sogenannten Lohnsteuereinbehalt durch das "Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt" auf 100 Prozent erhöhen.

Das sei ein "geeignetes Instrument, da vergleichsweise kurzfristig Kostenentlastungen für Schiffe unter deutscher Flagge geschaffen werden", heißt es in der Gesetzesbegründung. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) brachte das Regelwerk über eine Bundesratsinitiative ein. Der Sozialdemokrat will damit die maladen, unter Preisverfall leidenden Schifffahrtsunternehmen päppeln. Die Bundesregierung macht mit, ihr ist die Sache aber offenbar peinlich. Ohne Debatte und damit geräuschlos wollte sie das Gesetz durch den Bundestag schleusen. Nur die Opposition spielte nicht so recht mit. Das Gesetz wurde in der Sitzung am 3. Dezember nicht debattiert, aber die Debattenbeiträge wurden wenigstens zu Protokoll gegeben. Im Januar findet noch eine Anhörung statt.

Schutz für Steinmetze

Arbeitnehmerrechte sind der Bundesregierung wichtig. Am 21. Oktober beschloss das Bundeskabinett daher die "Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk (Zweite Steinmetzarbeitsbedingungenverordnung - 2. SteinmetzArbbV)". Die rund 20.000 Steinmetze in Deutschland dürfen sich nun über einen besseren Arbeitsschutz freuen - wenn denn ihre Arbeitgeber das Gesetz kapieren. Das aber ist fraglich, wie eine Kostprobe zeigt:
"Auf Grund des § 7 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit Absatz 4 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, dessen Absätze 1 und 4 durch Artikel 6 Nummer 6 Buchstabe b und c des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden sind, verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nachdem es den in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallenden Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, den Parteien des Tarifvertrags nach § 1 Satz 1 dieser Verordnung, den Parteien von Tarifverträgen in der Branche mit zumindest teilweise demselben fachlichen Geltungsbereich sowie den paritätisch besetzten Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber zumindest teilweise im Geltungsbereich dieser Rechtsverordnung festlegen, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben hat: Die in der Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung eines Mindestlohns im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk vom 11. Februar 2015, (...)abgeschlossen zwischen dem Bundesverband Deutscher Steinmetze/Bundesinnungsverband des Deutschen Steinmetz und Steinbildhauerhandwerks, Weißkirchener Weg 16, 60439 Frankfurt am Main, einerseits, sowie die Industriegewerkschaft Bauen - Agrar - Umwelt, Bundesvorstand, Olof-Palme-Straße 19, 60439 Frankfurt am Main, andererseits, finden auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Anwendung, die unter seinen am 1. November 2015 gültigen Geltungsbereich fallen, wenn der Betrieb oder die selbstständige Betriebsabteilung im Sinne des fachlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbringt."

Alles klar?

Digital – auf dem Papier

Eine Branche kichert. Am 4. Dezember hat der Bundestag das "Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen" – auch "E-Health-Gesetz" genannt - verabschiedet. Das neue Gesetz schreibt vor, dass Ärzte ihren Patienten einen Medikationsplan erstellen müssen, wenn mehr als drei verschiedene verschreibungspflichtige Medikamente verabreicht werden sollen.

So weit, so gut. Nur muss der Medikationsplan laut E-Health-Gesetz auf Papier erstellt werden. Damit er dennoch elektronisch lesbar ist, soll er einen QR-Code erhalten. "Keine elegante Lösung, aber eine schnelle Einlesehilfe", nennt das Amin-Farid Aly von der Koordinierungsgruppe Aktionsplan AMTS bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Der Chef eines großen Klinikbetreibers findet dafür andere Worte: "Wie ein Falk-Stadtplan muss der Medikationsplan künftig korrekt gefaltet werden, damit der QR-Code auf Dauer nicht kaputtgeht", sagt er. "So sieht E-Health nur in Deutschland aus."

Ordnung für Spielhöllen

Auch um den Mitarbeiternachwuchs in Spielhöllen wusste sich der Gesetzgeber zu kümmern. Spielautomaten aufstellen, anstellen und wieder abstellen: Das traut der deutsche Staat einem jungen Menschen erst nach einer Ausbildung zur "Fachkraft für Automatenservice" (zwei Jahre) oder zum "Automatenfachmann" (drei Jahre) zu.

Dank der "Verordnung über die Berufsausbildung zum Automatenfachmann und zur Automatenfachfrau (Automatenfachmannausbildungsverordnung - AutomAusbV)" vom 1. Juli 2015 sind jetzt die ersten zwei Jahre in beiden noch relativ neuen Ausbildungsberufen vereinheitlicht. Betroffen sind nicht wirklich viele Menschen. Bundesweit wurden 2014 genau 75 junge Frauen und Männer von Staats wegen zur geprüften Fachkraft für Automatenservice befördert - und 66 weitere zum Automatenfachmann. Oder zur staatlich geprüften Automatenfachfrau.

Selbst auf noch kleinere Verästelungen des weitverzweigten Berufsausbildungssystems hatte der Gesetzgeber 2015 ein Auge. So legt die "Erste Verordnung zur Änderung der Zupfinstrumentenmacherausbildungsverordnung" ebenfalls zum 1. Juli endlich fest: "Die Berufsausbildung ist auch für den Bau von Zupfinstrumenten, die weder Gitarren noch Harfen sind, möglich." Die bundesweit nicht einmal zwei Dutzend jungen Männer und Frauen, die zu diesem Zeitpunkt die Ausbildung durchliefen, werden aufgeatmet haben ob dieser Klarstellung.

Teure Trassen

Der Aus- und Neubau der Bahnstrecke zwischen Karlsruhe und Basel beschäftigt die Politik seit Jahrzehnten. Dieses Jahr war der Abschnitt zwischen Offenburg und Basel dran. In der Region gab es lange Proteste, die Aussicht, dass auf der wichtigen Strecke künftig noch mehr Güterzüge Tag und Nacht durchdonnern, brachte viele Bürger in Wallung. Ein Projektbeirat beriet hinter verschlossenen Türen, der Bund war vertreten, das Land Baden-Württemberg, die Deutsche Bahn, diverse Landräte und Bürgerinitiativen.

Im Juni dieses Jahres fand der Beirat einen Kompromiss: Die Bürgerinitiativen bekamen weitgehend, was sie wollten, Offenburg soll einen Tunnel für Güterzüge erhalten, an anderer Stelle soll die neue "Rheintalbahn" nicht, wie zuvor geplant, entlang der bisherigen Trasse verlaufen, sondern neben einer Autobahn - womit abermals Bürger betroffen sind, nur halt andere als die, die bisher protestierten.

Der ursprüngliche Plan hat die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, er hat die vorgeschriebenen Lärm- und Umweltstandards eingehalten - und auch die Maßgabe der Haushaltsordnung, dass unter den Projekten, die den Standards gerecht werden, das kostengünstigste zu wählen ist. Das ist nun natürlich nicht mehr der Fall. Die Trassenführung, die der Projektbeirat beschlossen hat, verursacht für den Steuerzahler Zusatzkosten in Milliardenhöhe. 280 Millionen Euro soll das Land Baden-Württemberg tragen, gut 1,5 Milliarden der Bund. Damit wird das Projekt am Ende gut doppelt so teuer wie ursprünglich veranschlagt. Union und SPD wollen es dennoch durchwinken.

Rheintal ist überall

Die Rheintalbahn-Beschluss des Bundestages hätte eigentlich schon am Donnerstag vergangener Woche fallen sollen. Doch es kam kurzfristig etwas dazwischen. Es war die CDU, die die Rheintalbahn unbedingt wollte. Also - so läuft das in der großen Koalition - verlangte die SPD eine Gegenleistung. Die Sozialdemokraten koppelten ihre Zustimmung für die Rheintalbahn daran, dass die Union gleichzeitig einen Bundestagsbeschluss zur "menschen- und umweltgerechten Realisierung europäischer Schienennetze" mitträgt. In dem entsprechenden Antrag wird der (letztlich milliardenteure) Einsatz des Projektbeirats im Badischen zum Vorbild erklärt. Es sollten, heißt es wörtlich, "künftig die Grundsätze und Maßstäbe zur Anwendung kommen, die durch den Projektbeirat Rheintalbahn gesetzt worden sind". Außerdem wolle man künftig öfter mal "einen besonderen - über das gesetzliche Maß hinausgehenden – Schutz von Anwohnern und Umwelt erreichen".

Was das in der Praxis hieße, lässt sich leicht ausmalen: Die übliche, formalisierte Planung von Bahnprojekten wird ausgehebelt und in entscheidenden Teilen ins Hinterzimmer verlagert. Die Kosten werden so noch häufiger durch die Decke schießen als bei Infrastrukturprojekten in Deutschland ohnehin schon üblich.

Dennoch hätten CDU und CSU die Neuregelung dem Vernehmen nach mitgemacht. Erst als fast buchstäblich in letzter Minute auch noch konkrete Festlegungen für weitere Trassenprojekte in den zweiten Antrag aufgenommen werden sollten, blockierte die Union.

Die Fortsetzung folgt bald nach Silvester. Bis Mitte Januar, vermeldet die CDU, soll ein Kompromiss stehen.

25.12.2015 | 20:20 Uhr Jan Dams, Olaf Gersemann, Martin Greive, Die Welt, N24

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